Das Europäische Wirtschaftsgesetzbuch – Eine Projektskizze

Prof. Dr. Matthias Lehmann, Bonn
GPR 6/2017. 14. Jahrgang S. 261–312 Dezember 2017
Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union.

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Rund 60 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge befindet sich die Europäische Union in ihrer bisher schwersten Krise. Der erste Austrittsantrag eines Mitgliedstaats stellt die Union vor eine harte Bewährungsprobe. Außerdem unterliegt die Bestandskraft des Euro nicht enden wollenden Zweifeln. In der Wahrnehmung vieler Experten ist dieser mit einem grundlegenden Konstruktionsfehler behaftet, da es an einer Wirtschaftsunion als Ausgleich und Gegengewicht zur Währungsunion fehlt.1 Die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Union sind zu verschieden, um auf Dauer eine gemeinsame Währung erhalten zu können.

Wie aber lässt sich ein höherer Grad an wirtschaftlicher Integration erreichen? Bisherige Maßnahmen richten sich vor allem auf zwei Bereiche: den Verbraucherschutz und die Bankregulierung. Das Verbraucherrecht ist in hohem Maße harmonisiert.2 Im Bankrecht verhält es sich ähnlich; hier verfügt man sogar über spezialisierte EU-Institutionen, die für die Durchsetzung unionsrechtlicher Standards sorgen.3 Zwischen diesen beiden Polen, den Verbrauchern und den Banken, gerät die Realwirtschaft als eigentliche Quelle der Wertschöpfung aus dem Blickfeld. Zu wenig wird beachtet, dass das höchste Maß an Verbraucherschutz aus einer kompetitiven Wirtschaft folgt und dass stabile Banken vor allem Folge gesunder Wirtschaftsstrukturen sind. Die Realwirtschaft spielt in der EU-Gesetzgebung ebenso eine untergeordnete Rolle wie ihr Grundbaustein, das Unternehmen. Zwar gibt es einige stark harmonisierte Bereiche des Wirtschaftsrechts, z.B. die Rechnungslegung oder das Registerrecht. Es existiert jedoch kein einheitlicher rechtlicher Rahmen für die Tätigkeit von Unternehmen im Binnenmarkt.

Dieses Manko könnte ein Europäisches Wirtschaftsgesetzbuch beheben. Derzeit bemüht sich eine Forschergruppe um die Abfassung eines solchen Texts. Die Europäische Kommission hat das Gesetzbuch als eine Option in ihr Weißbuch zur Zukunft Europas aufgenommen.4 Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich in seiner europapolitischen Grundsatzrede am 26.9.2017 an der Sorbonne für eine Vereinheitlichung des Wirtschaftsrechts zunächst in den deutsch-französischen Beziehungen mit folgenden Worten ausgesprochen: „Pourquoi ne pas se donner d’ici à 2024 l’objectif d’intégrer totalement nos marchés en appliquant les mêmes règles à nos entreprises, du droit des affaires au droit des faillites?“5 Die Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel war vorsichtig-positiv. Sie kündigte an, die Harmonisierung des Insolvenzrechts und der Unternehmenssteuer werde in die Beratungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung einfließen.6

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Bekenntnis zu deutsch-französischem Wirtschaftsraum

Der Vertrag von Aachen sieht erhebliche Annäherungen zwischen Deutschland und Frankreich vor. Die Wirtschaft reagiert positiv und will mehr.

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Mehr als schöne Worte? Emmanuel Macron, Angela Merkel und ihre Außenminister bei der Unterzeichnung. (Foto Ludovic MARIN / AFP).

Deutschland und Frankreich wollen wirtschaftlich enger zusammenrücken. Das haben Bundeskanzlern Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron bei der Unterzeichnung des sogenannten Aachener Vertrags vereinbart. „Beide Staaten vertiefen die Integration ihrer Volkswirtschaften hin zu einem deutsch-französischen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regeln“, heißt es in der Übereinkunft, die als Nachfolgerin des Elysee-Vertrags von 1963 gesehen wird. Auch die Sozialmodelle sollen angeglichen werden. Ein noch einzurichtender „Rat der Wirtschaftsexperten“ mit zehn unabhängigen Fachleuten soll den Regierungen dafür Vorschläge unterbreiten.

Die Ziele klingen ehrgeizig, doch sind das mehr als schöne Worte? Die Reaktionen von Wirtschaftsvertretern und in der akademischen Welt fallen jedenfalls weitgehend positiv aus, gerade angesichts der europapolitischen Unsicherheiten durch den Brexit. „Die Vertiefung der politischen Zusammenarbeit ist ein sehr positiver und wichtiger Schritt, auch deshalb, weil sich Fortschritte bei der Zusammenarbeit auf EU-Ebene in vielen Gebieten nicht oder zu langsam entwickeln“, sagte der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, der F.A.Z. Die Schaffung eines Wirtschaftsraums sei eine gute Idee, sofern er für Drittländer offen bleibe.

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Vertrag von Aachen vom 22. Januar 2019: Frankreich und Deutschland legen Grundstein für die Vereinheitlichung des europäischen Wirtschaftsrechts 20. Januar 2019

Vor 56 Jahren, am 22. Januar 1963, unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle den Elysée-Vertrag, der Friede und Einheit in Europa schuf, indem er die historische Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich prägte.

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Am 22. Januar 1963, unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle den Elysée-Vertrag

Am 22. Januar 2019 unterzeichnen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron in Aachen einen neuen deutsch-französischen Staatsvertrag, der die neuen Leitlinien der bilateralen Zusammenarbeit der beiden Ländern zieht. Die deutsch-französische Kooperation zielt weiterhin auf Solidarität, Einheit und vertiefte Integration in Europa.

Der Vertrag von Aachen ist ein historischer Rechtsakt, der die Zukunft Europas prägen wird.

Sein Artikel 20 ist auffallend stichhaltig und konkret gefasst. Statt diplomatischer Floskeln kündigt der Artikel die Vereinheitlichung des Wirtschaftsrechts der beiden Länder an, die im Rahmen des Projektes „Europäisches Wirtschaftsrecht“ stattfinden sollte. Er stellt somit die Weichen für eine Stärkung der Einheit Europas durch das Band des Rechts in unmittelbarer Anlehnung an die Vorstellungen von Walter Hallstein, des ersten Präsidenten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

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Auf dem Weg zu einem europäischen Wirtschaftskodex: Weißbuch zur Zukunft Europas, Europäische Kommission, 1. März 2017: Afrika zeigt Europa den Weg

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Wir beziehen uns auf die vorausgehenden www.ohada.com-Newsletters , in denen das Projekt eines europäischen Wirtschaftskodex angesprochen wurde.

Im Anschluss an die letzte griechische Eurokrise im Juli 2015 hat ein Kollektiv aus afrikanischen und europäischen Juristen auf der Website www.ohada.com ein Plädoyer dafür veröffentlicht, dass sich die Euro-Länder vom Erfolg der OHADA-Reform inspirieren lassen sollen und die gemeinsame Währung mit einem gemeinschaftlichen Wirtschaftsrecht verbinden, da dies einen für die Dauerhaftigkeit des Euro wesentlichen wirtschaftlichen, steuerlichen und sozialen Konvergenzvektor darstellen würde (siehe Newsletter vom 24. Juli 2015).

Im Anschluss an die Veröffentlichung eines Inventariums des europäischen Wirtschaftsrechts durch vierzehn eminente Juristen des Vereins Henri Capitant unter der Ägide der Fondation pour le droit continental, dessen Vorwort vom ehemaligen französischen Staatspräsidenten und wichtigen Akteur des Aufbaus Europas Valéry Giscard d’Estaing abgefasst worden war, sowie an die Verbreitung einer Zusammenfassung unter den hohen EU-Instanzen und deren großen Mitgliedsstaaten hat die Europäische Kommission die Notwendigkeit der Ausarbeitung eines europäischen Wirtschaftskodex bestätigt (siehe Zusammenfassung sowie das Vorwort des Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing).

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Vom Brexit zum Europäischen WirtschaftsGesetzbuch

Dafür ist es ab jetzt wichtig, dass die das Wirtschaftsrecht betreffenden Gemeinschaftsnormen nach einem sowohl didaktischen als auch thematischen Plan kodifiziert werden. Durch Links könnte gewährleistet werden, dass der aktuelle Stand der Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht festgestellt werden kann. Ein Wirtschaftsgesetzbuch in Blau und Gold (den Farben der EU) könnte die Verständlichkeit des Unionsrechts verbessern und es den Bürgern Europas näherbringen.

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3 Fragen: Auf dem Weg zu einem Europäischen Wirtschaftsgesetzbuch

Philippe Dupichot, Professor an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne, Generalsekretär der Association Henri Capitant und Reiner Schulze, Professor für Recht an der Universität Münster, Vorsitzender der deutschen Gruppe der Association Henri Capitant.

Warum wurde eine Bestandsaufnahme des acquis communautaire im Wirtschaftsrecht erstellt? Welche Methode wurde dabei befolgt?

Eine synthetische Aufstellung des acquis communautaire im Wirtschaftsrecht ist ein Unternehmen, das kurioserweise bisher kaum in Angriff genommen wurde. Dabei zeigte die zunehmende Hinterfragung des Fortbestands des Euros, wie zerbrechlich die Konstruktion einer Währung ist, die nicht auf gemeinsamen Rechtsgrundlagen beruht. Personen guten Willens aus der Zivilgesellschaft (Paul Bayzelon in erster Linie, Initiator der OHADA) haben die Hypothese aufgestellt, der Euroraum könne nur in einem einheitlichen Rechtsrahmen und gestützt auf einheitliche Handelsspielregeln vorankommen. Daher auch die Idee, im Vorfeld die Errungenschaften der Union im Wirtschaftsrecht in seinem weitesten Sinne zu ermitteln. Die Association Henri Capitant wurde mit der Durchführung dieser Vorarbeit betraut.

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