von Chiara Pelster, 8. Dezember 2021
„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen“ werde. Mit diesen Worten ist Olaf Scholz heute als neunter Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland vereidigt worden. Die Mitglieder der ersten Ampelkoalition hatten am Dienstag ihren Koalitionsvertrag unterschrieben. Die gegenwärtigen Aufgaben sind anspruchsvoll.
Angesichts der weltweiten Covid-19-Pandemie und des zunehmenden Bedarfs an leistungsfähiger und sicherer Technologie ist es nun zwingend erforderlich, dass der europäische Binnenmarkt einen einheitlichen Rechtsrahmen für den digitalen Markt schafft. Der zunehmende Handel mit digitalen Gütern könnte dabei dem Projekt eines Wirtschaftsgesetzbuches neue Impulse geben.
Bisher existiert das Projekt eines „Code européen des affaires“ nur in Form eines ersten Entwurfes der Association Henri Capitant. Politische Fürsprecher finden sich in der Assemblée Nationale und dem Deutschen Bundestag. Die EU-Kommission zeigt sich demgegenüber nicht verschlossen und hat die Option eines europäischen Gesetzbuches 2017 ins Weißbuch zur Zukunft Europas eingebracht[1]. Eine Umsetzung ist ohne eine wesentliche Änderung der Verträge aber nicht möglich und diese ist in nächster Zeit nicht ersichtlich.
Es liegt also an Deutschland und Frankreich, ihre ursprüngliche Rolle als Motor der europäischen wirtschaftlichen Integration wieder aufzugreifen. Tatsächlich haben Berlin und Paris 2019 im Aachener Vertrag die Harmonisierung ihres Wirtschaftsrechts zum Teil ihrer politischen Agenda gemacht: „Beide vertiefen die Integration ihrer Volkswirtschaften hin zu einem deutsch-französischen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regeln.“ (Art.20 I, S.1). Ebenso soll die „Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und des digitalen Wandels” gefördert werden (Art.21)[2]. Mit Frankreichs Präsident Macron, der sich schon öfters für eine stärkere wirtschaftliche Integration ausgesprochen hat, u.a. auch in seinem „Discours de la Sorbonne“, würde dieses Ziel 2022 unter der französischen Ratspräsidentschaft an Bedeutung gewinnen.
Nachdem sich der Elysée mit vier Präsidenten dem Regierungsstil von Frau Merkel angepasst hatte, wird es nun ebenfalls interessant sein, die deutsch-französische Verhandlungsdynamik zu beobachten. Die neue Ampel-Regierung hat die Gelegenheit, sich als dynamischer Partner zu beweisen, indem sie dem Projekt neuen Schwung gibt. Der Koalitionsvertrag, der letzte Woche vorgestellt wurde, kündigt stärkere Förderungen für KMU im Bereich Digitalisierung an: „Wir stärken KMU bei der Digitalisierung durch unkomplizierte Förderung und bauen die Unterstützung für IT-Sicherheit, DSGVO-konforme Datenverarbeitung und den Einsatz digitaler Technologien aus.“[3]. Dies scheint durchaus mit der französischen Politik vereinbar zu sein, die im zweiten Teil ihres Konjunkturpakets, ihrem sog. “plan de relance”, 34 Milliarden Euro unter anderem in technologische Unabhängigkeit investieren will, und dies in Kooperation mit ihren europäischen Partnern : „Dotée d’un budget total de 34 milliards d’euros, cette deuxième partie du plan vise à accroître la résilience économique et l’indépendance technologique avec nos partenaires européens, à développer l’activité et à créer de l’emploi de façon durable“[4].
Diese Förderung darf nicht nur tatsächlicher Natur, sondern muss auch rechtlicher Natur sein[5]. Der Gesetzgeber sollte KMU bei der Entfaltung im digitalen Binnenmarkt Rechtssicherheit bieten. Zurzeit sind zwar nur weniger als 5% der KMU grenzüberschreitend tätig[6], doch könnte der Aufstieg von Tech Start-ups / Tech-KMU dies in den nächsten Jahren entscheidend ändern. Laut Ergebnissen des IfM Bonn erbrachten 2020 deutsche KMU deutlich häufiger kostenpflichtige IT-Dienstleistungen aus der virtuellen Cloud als noch 2018[7]. Das Ziel wäre, die Nachfrage nach digitalen Inhalten und Dienstleistungen auf dem europäischen Markt ohne protektionistische Maßnahmen, sondern durch einen effektiven und stimulierenden Rechtsrahmen abzudecken. Notwendig wäre es also, das digitale Recht in Zukunft umfassend in einem neuen europäischen Wirtschaftsgesetzbuch zu kodifizieren, um KMU innerhalb des europäischen Binnenmarktes zu fördern. Das Thema Digitalisierung könnte als Pilotprojekt für eine Kodifizierung des EU-Rechts dienen.
[1] Europäische Kommission, Weißbuch zur Zukunft Europas, Die EU der 27 im Jahr 2025 – Überlegungen und Szenarien, 1.3.2017, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2017/DE/COM-2017-2025-F1- DE-MAIN-PART-1.PDF , [zuletzt abgerufen am 08.06.2019]
[2] Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration / Traité sur la coopération et l’intégration franco-allemandes, 22.01.2019, abrufbar unter: https://de.ambafrance.org/Text-des-Aachener-Vertrags [zuletzt abgerufen am 06.12.2021]
[3] Koalitionsvertrag zwischen SPD; Bündnis 90 / Die Grünen und FDP, zuletzt unterzeichnet von den Grünen am 7.12.2021
[4] https://www.economie.gouv.fr/plan-de-relance, [zuletzt abgerufen am 06.12.2021]
[5] Auch im Hinblick auf den digitalen Wandel beobachtet man, dass das Verbraucherrecht eine Vorreiterrolle gegenüber dem Unternehmensrecht übernimmt. In Reaktion auf die Richtlinie des EU-Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über „bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen“ (Richtlinie über digitale Inhalte), wird im Wege einer Reform des BGBs der Verbraucherschutz gegenüber Herstellern digitaler Produkte verbessert (Gesetz tritt ab 1. Januar 2022 in Kraft).
[6] Szczepanski, Das Wachstum europäischer KMU fördern, S.6
[7] https://www.ifm-bonn.org/statistiken/mittelstand-im-einzelnen/digitalisierung-der-kmu-im-eu-vergleich, [zuletzt abgerufen am 3.12.2021]