Michael Ott, Niklas Uder, 9.10.2019
Im Rahmen der Jahrestagung der Deutsch-Französischen Juristenvereinigung in Dresden stellte der Konstanzer Professor Michael Stürner am 20. September 2019 dem juristischen Experten-Publikum das Projekt zur Schaffung eines europäischen Wirtschaftsgesetzbuchs vor.
Stürner machte klar, dass ein gemeinsames Wirtschaftsgesetzbuch notwendig sei. Er verwies dabei auf den Wettbewerb der Rechtsordnungen, sowohl hinsichtlich des Gerichtsstandes als auch hinsichtlich des anwendbaren Rechts. Gerichtsstandsvereinbarungen und Rechtswahlklauseln seien alltäglich und weit verbreitet. Da das Recht von Unternehmen als Produkt gesehen werde, müsse es sich auch auf dem Markt behaupten und ein europäisches Wirtschaftsgesetzbuch sei ein starkes Argument für Kontinentaleuropa als Rechtsstandort.
Gründe dafür, die eigene Rechtsordnung wettbewerbsfähig auszugestalten, sah Professor Stürner viele. Neben fiskalischen Interessen in Form von hohen Gerichtsgebühren bei großen Wirtschaftsverfahren, welche es ermöglichten kleinere Verfahren querzusubventionieren, verwies er etwa auf wirtschaftspolitische Aspekte, wie einen erhofften Aufschwung für die Anwaltschaft und damit verbunden auch für die Infrastruktur, Beratergesellschaften oder auch die Hotellerie. Zudem betonte er das rechtsstaatliche Ziel, solche Fallgruppen, die bisher weitgehend außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit entschieden wurden, wie etwa das Recht des Unternehmenskaufs, wieder verstärkt zu staatlichen Gerichten zurückzuführen.
Professor Stürner hob hervor, dass der Brexit den Wettbewerb zwischen nationalen Rechtsordungen nochmals beschleunigt habe. Er berichtete, verschiedene Akteure hofften, der derzeit führende Gerichtsstandort London würde durch das Ausscheiden aus der EU wegen des damit einhergehenden Verlusts der automatischen Anerkennung und Vollstreckung seiner Urteile wesentlich an Attraktivität verlieren. Stürner selbst teilte diese Erwartung allerdings nur eingeschränkt und verwies insbesondere auf die besondere Expertise der Richter des London Commercial Court.
Im Folgenden begann der Konstanzer Rechtslehrer, Konzept und Methodik des Projektes Europäisches Wirtschaftsgesetzbuch näher zu erläutern: Es handle sich um eine private, zivilgesellschaftliche Initiative, die Arbeit erfolge in 12 spezialisierten Arbeitsgruppen, welche sich regelmäßig träfen und auch in jährlichen Plenumsveranstaltungen austauschten. Primär gehe es darum, den acquis communautaire zu ordnen, konsolidieren und gegebenenfalls auch zu vereinfachen. Indem die Normen eher aus unternehmerischer statt aus bürokratischer Sicht formuliert werden sollen, wolle die Initiative die Verständlichkeit und Akzeptanz des Gesetzbuchs in der Praxis erhöhen. Professor Stürner erläuterte die Methodik beispielhaft an der Arbeitsgruppe Forderungsdurchsetzung, welcher er selbst angehört.
Zum Ende seines Vortrags ging er auf die Zweifel an einem derart umfangreichen Gesetzgebungsvorhaben ohne offiziellen staatlichen Auftrag ein. Zweifel an einem ambitionierten europäischen Projekt, das letztlich mit den Unwägbarkeiten der Tagespolitik in Einklang zu bringen sein muss. Er verwies dabei auf den neuen Elysée-Vertrag, welcher jedenfalls auf einen politischen Willen zur Umsetzung hindeute. Darüber hinaus sah er auch ohne rechtsverbindliche Umsetzung einen Sinn in dem Projekt, etwa im Hinblick auf dessen wissenschaftliche Bedeutung oder auch auf die legislatorische Vorbildwirkung von Modellgesetzen. Er hob diesbezüglich die Erfolge des Uniform Commercial Code in den USA und des UNCITRAL-Modellgesetzes hervor. Mit Spannung dürfen die Ergebnisse der Forschergruppe erwartet werden, die im Frühjahr 2020 präsentiert werden.
Mit freundlichem Dank an die DFJ für die Bereitsstellung der Bilder des Vortrages