Interview: Daniel BRÖSSLER
Am 22. Januar unterzeichnen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Aachen einen neuen Vertrag – 56 Jahre nach Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Elysee. Das solle Mut machen, sagt Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt und Beauftragter für die deutsch-französische Zusammenarbeit.
SZ: Herr Roth, brauchen wir eine Neuauflage des Elysee-Vertrags, weil die Beziehungen so gut oder so schlecht sind?
Michael Roth: Mit dem Aachener Vertrag bieten wir vor allem Populisten und Nationalisten die Stirn. Der Abbau von Grenzen, mehr Integration und noch engere Zusammenarbeit bringen einen konkreten Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger. Genau das brauchen wir in diesen schwierigen Zeiten.
SZ: Ist der Vertrag nicht eher ein Trostpflaster für Macron, den Deutschland seit dessen Sorbonne-Rede hat hängen lassen?
M. R.: Überhaupt nicht. Die Idee für den Vertrag geht ja auf den französischen Präsidenten zurück. Er war nie als Ersatz gedacht für eine Reform der EU. Er ist eine Ergänzung, weil unsere Länder für ein besseres und souveränes Europa in besonderer Verantwortung stehen.
SZ: Aber bei der EU-Reform hat Deutschland Macron schon hängen lassen?
M. R.: Ich bin mit der Umsetzung von dem, worauf sich CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag verpflichtet haben, noch nicht zufrieden. Wir sollten mehr Mut, mehr Tempo und mehr Ambition an den Tag legen.
SZ: Mit dem Aachener Vertrag werden eine Reihe neuer Räte und Formate geschaffen. Also vor allem mehr Bürokratie?
M. R.: Im Gegenteil. Der Vertrag eröffnet den Bundesländern, Regionen und Kommunen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit viel größere Spielräume. Es wird ent-bürokratisiert. Das betrifft Schulen, das Gesundheitswesen oder den Arbeitsmarkt. Die Grenze soll im konkreten Alltag der Menschen in den grenznahen Kommunen überhaupt nicht mehr spürbar sein.
SZ: Der Elysee-Vertrag hatte die Aussöhnung zum Ziel. Wohin führt der Aachener Vertrag?
M. R.: Hoffentlich zu einem vereinten Europa. Er soll zeigen, dass der Abbau von Grenzen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger liegt. Wir verpflichten uns zu mehr Zusammenhalt und dazu, die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede Stück für Stück abzubauen. Ich verspreche mir sehr viel davon, dass Deutschland und Frankreich künftig bei der Umsetzung von EU-Richtli-nien Hand in Hand arbeiten wollen. Das hat es so noch nie gegeben.
SZ: Schürt der Vertrag nicht das Misstrauen der anderen Europäer vor einem deutschfranzösischen Block?
M. R.: Nein. Der Vertrag macht deutlich, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit nicht exklusiv, sondern inklusiv ist. Wir laden die anderen Staaten dazu ein, mit uns zusammen Europa voranzubringen. Aber: Unsere Partner in Europa sollen uns auch beim Wort nehmen. Durch unsere Größe und Wirtschaftsleistung stehen wir in einer besonderen Pflicht, Europa handlungsfähiger zu machen in einer globalisierten und krisengeschüttelten Welt.
SZ: Wieso wird dann ausgerechnet in diesem Vertrag die Idee eines EU-Sitzes im UN-Si cherheitsrat aufgegeben zugunsten der alten Forderung nach einem ständigen Sitz für Deutschland?
M. R.: Der Vertrag spricht ja davon, die europäische Stimme im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu stärken. Deshalb wollen wir mit Frankreich im März und April unseren Vorsitz im Sicherheitsrat auch für eine Team-Präsidentschaft nutzen und uns so eng wie möglich abstimmen.
SZ: Bei der militärischen Zusammenarbeit hatte sich Macron mehr versprochen. Warum bremsen die Deutschen?
M. R.: Wir bremsen nicht. In Deutschland haben wir aber eine etwas andere Herangehensweise. Gegenüber dem Einsatz militärischer Mittel herrscht in der deutschen Gesellschaft eine größere Skepsis. Für den Rüstungsexport gibt es bei uns sehr restriktive Richtlinien. Im Vertrag haben wir uns auf einen vernünftigen Kompromiss verständigt. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Franzosen enttäuscht sind.